Abstinent sein – für die Menschenwürde der anderen!
In Bonn, es war nach jener Nacht, welche genannt „Rhein in Flammen“, war es auch zu beobachten, ein Heer von ihnen, eines, das in die tausende ging, das der Flaschensammler. Denn Bonn hatte sich kurzfristig verabredet, nämlich zum kollektiven Besäufnis, in aller Öffentlichkeit. Niemals zuvor und danach habe ein ähnliches Massenbesäufnis erlebt. Und wer geschickt war, d.h. wer seinen Bezirk gut kannte, früh genug auf den Beinen war, konnte in so einer Nacht vielleicht gar reich werden – an Flaschenpfand. Nur auch die Konkurrenz schlief nicht, das übliche Problem – im Kapitalismus -, ein jenes, das nicht wenige daran hindert, das zu werden, was das Kapital den Glücklichen verspricht: reich zu werden.
Und das bringt uns zum springenden Punkt.
Allein notwendig, nicht infolge eines Überflusses, nein ob eines Mangels. Des Mangels an Kultur, wie es scheinen will. Doch trifft das nur die Oberfläche. Die eigentliche Kultur, an der es hier mangelt, ist eben nicht die in dem Erkennbaren, dem Offenkundigen, der nicht mehr zu leugnenden Tatsache, dass man in der Öffentlichkeit trinkt, und dann gar noch den Unrat in derselben Öffentlichkeit zurück lässt, nein, es ist der Mangel an, oder besser gesagt: einer ganz bestimmten Ökonomie – „Mangelökonomie“ wie von Marxisten auch polemisch denunziert. Eine solche, die es offenkundig macht, wie wohlfeil etwas sein muss, sein darf, damit es zu einer öffentlichen Verrichtung der Notdurft kommt.
Die Lyrik ob jenes „Berbers“, der da Ordnung schafft, darin so bescheiden, wie effektiv, ist doch zu vordergründig. Wessen Ordnung ist es denn, die da bedient wird? Ist es nicht eine für eine quasi bestellte Dienstleistung? Und warum ist es eine bestellte Dienstleistung? Niemand zwingt irgendjemanden diese Arbeit zu machen! Wir kennen das Argument, auch bei anderen Arbeiten, die da so offensichtlich unter aller Würde verrichtet werden! Doch diese wird gemacht, da bestellt. Bestellt von jenen, für die es wohlfeil ist, sie mit dem Flaschenpfand zu bezahlen. Nicht mit einem Euro – in der Stunde -, nein mit 8 Cent bis 25 Cent die Flasche. Und selbst der Fleißigste wird dabei wohl kaum über einen Euro die Stunde kommen.
Der Mangel, jener im „Lohnsystem“, nämlich eines System, was den Mangel derer zur Grundlage erhebt, denen es an allem mangelt, ist es, welcher diesen Zustand zu verantworten hat. Schon die Entlohnung unter einem „Mindestlohn“ wird als Mangel an Würde betrachtet, wie erst dann unter einem Euro die Stunde? Das Ärgernis des all zu Öffentlichen, die Störung der Intimsphäre gewisser Leute, der, die sich daran stören, dann aber auch die Öffentlichkeit eines solchen Müllsystems, wie schließlich, die Notwendigkeit des Entstehens einer solch erbärmlichen Wirtschaft überhaupt, all das ist Ausdruck von jener Mangelökonomie. Einer Ökonomie, die nur dann Sinn macht, wenn die Profitrate durch die Ausbeutung von Selbstausbeutern höher ist als durch durchschnittlich bezahlte Lohnarbeit.
Das Land mit seiner hohen Produktivität wird damit zur Destination des Elends. Denn diese hohe Produktivität schließt die aus, die darin nicht mitgedacht sind, damit eben eine solche Produktivität überhaupt möglich wird – für wenige.
Armut eben auf hohem Niveau, dem Niveau der anderen. Das Flaschenpfand gibt nur den Schein, für die Selbständigkeit, macht die Form, welche die Ausbeutung verschleiert, und schafft zugleich die Basis für jenes „Hohe Lied der Arbeit“, welches da in der Lyrik daherkommt.
Die Prosa, die, die sich aus dem Wesen ergibt, spricht hingegen von Abhängigkeit, Billigkeit und Menschenunwürdigkeit, nämlich all dem, was es zu verbergen gilt, damit es Kultur wird – ein „Lumpenlied“ vielleicht -, und sie ist nüchtern, völlig unberauscht ob ihrer Tristesse.
So nüchtern, wie jener Flaschensammler vielleicht, welche da eben nur nüchtern diese Arbeit verrichten kann, denn besoffen wäre er vielleicht sich selbst.
Denn auch das ist ein Teil des Preises, den er bezahlt, neben dem mit seiner Menschenwürde, – die erzwungene Abstinenz, die für andere, für die Menschenwürde der anderen.
Denn so funktioniert sie, diese Gesellschaft, die Ökonomie des Mangels: Damit die einen, dem Mangel entfliehen, zeitweise und als ihr Privileg, müssen die anderen abstinent sein, von allem.
faz.net/blogs/stuetzen/archive/2010/04/03/der-flaschenmann-und-die-stuetzung-der-gesellschaft
Ein Trackback
[…] ist, wie das System im Allgemeinen, da eine ernsthafte Bedrohung abgeben könnte? Beklagt das Lohnsystem, nicht nur das Kapitalsystem! Dann vielleicht erfolgt Abhilfe – durch euch selbst! Durch den […]