Taktische Differenz
In der bürgerlichen Demokratie liegt eine Antinomie. Obwohl sie vorgibt, den Volkswillen zu repräsentieren, fürchtet sie genau diesen. Der Grund ist so einfach wie komplex: er ist die darin geleugnete Klassenwirklichkeit. Es streiten in ihr Klassen – nicht „politische Klassen“ (das ist ein falscher Begriff, soweit hier eigentlich „Kaste“/ „Loge“/„Clique“ gemeint sein sollte), sondern soziale Klassen -, nicht nur um die Deutungshoheit dessen, was Demokratie ist oder sein sollte, sondern letztlich um die Macht (innerhalb oder auch außerhalb dieser). Ein Volksentscheid täuscht darüber hinweg, dass das „Volk“ ein Konstrukt von zweifelhafter Substanz ist. Mehrheiten innerhalb eines solchen Volkes können demnach auch höchst zweifelhaft sein. Negative Mehrheiten, ja!, aber positive? Das Minarettverbot ist zufällig mal beides: negativ als Ressentiment und „positiv“ als Ausdruck von Rassismus. Schon das Ressentiment ist – abstrakt besehen – schon im Interesse des Machterhalts der Herrschenden – womit auch der wahre Klasseninhalt dieses Entscheids bezeichnet wäre -, und doch im Konkreten „peinlich“/entlarvend/ja gefährlich, was die Ambivalenz – die taktische Differenz bzgl. dieses Volksentscheids – innerhalb der Herrschenden begründet.
faz.net/Schweizer Minarettverbot:Pilatus als Demokrat,18.12.09