„Nichts ist unglaubwürdiger als die Wirklichkeit“
„„Genauso wichtig wie das, was in den zwei Spalten steht, ist ihr darum der Raum zwischen dem Gesagten, der für all das steht, „was man ausgelassen, ausgeschlagen hat im Leben.““ Das ist revolutionär und vermutlich genau der Grund, warum Suhrkamp das nicht wünscht. Suhrkamp ahnt hier das Ende des (bürgerlichen) Romans. Es gäbe natürlich noch andere Methoden Geschichte und ihre „Antigeschichte“/„Parallelgeschichte“ darzustellen, aber dies würde den Roman philosophisch überladen, ihn zum theoretischen Traktat machen, oder es würden mindestens 2 Romane werden. Das Buch macht mich neugierig. Der Leser muss es dann aber anders lesen, als es präsentiert ist, von Suhrkamp, die „Lücke“ mitdenken. Mit Žižek wäre die „Lücke“ ehe das einzige, was „existiert“. Ist es das, was uns auch die Autorin sagen will: es existiert eigentlich nichts wirklich, sondern wir subsistieren nur ununterbrochen etwas, was wir dann Wirklichkeit nennen (und eliminieren damit andere Wirklichkeiten, und dazwischen läge das eigentlich Wirkliche, hier: das Unbelichtete/Ungelebte – die „dunkle Seite des Monds“), Dostojewskis Diktum: „Nichts ist unglaubwürdiger als die Wirklichkeit…“ (Schuld und Sühne) relativistisch verstehend.
Semantisch gebrochen
Roman und Essay auf einer Seite! Ich denke nicht, dass man unterstellen sollte, dass da jemand vom anderen kopiert. Ich selbst habe mich in letzter Zeit dahin bewegt, ohne etwas von einer Frau Hacker oder auch einem Coetzee zu wissen. Es hat was mit Dialektik zu tun, mit der, wie wir sie kennen, und der, wie sie derzeit weiter entwickelt wird, auch im Genre Roman. Ich beziehe mich da gerne auf Žižek, wissend, dass ein Žižek als Poststrukturalist auch meine Grenzen tangiert. Aber mit seiner „Parallaxe“ und der „Lücke“ begreife ich, dass zur Dialektik zwischen Materie und Bewusstsein, die zwischen dem Sein und dem Nichts hinzu kommt. Das Problem: die Semantik ist noch gefangen im Rahmen, der – vom Subjekt antizipierten – Logik, also scholastisch kontaminiert. Hinzu kommt die soziale Dimension, dem obsolet Werden des bürgerlichen Romans, wie überhaupt der bürgerlichen Klasse, die proletarische scheint ja gerade abgewickelt. Es kommt hinzu, die Dialektik zwischen Sein und Schein (Kant-verdächtig), auch als Realität und Virtualität. Wirklichkeit ist postmodern nicht mehr greifbar, damit sind Erkenntnisse – vor allem Metaerkenntnisse – gefährdet. Ein Nichts im Reich des Bewusstseins, als Negation des (bewussten) Seins, semantisch gebrochen, Schein behaftet, romanhaft.
faz.net/Katharina Hacker und Suhrkamp: Chronik einer Zerrüttung,14.11.09
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[…] Ergo, sind zweitens Geisterarbeiter eher selten Zuhälter. Und im Schatten eben einer solchen Deutungsmacht konnten so zweifelhafte Gestalten wie Walser eine linke Prosa okkupieren und ein Enzensberger den […]
[…] die ich teile. Mich hat aber Tschernyschewskijs Was Tun? wohl mehr geprägt als gleich welches von Dostojewskis Werken. Denn ich gehöre noch zu der Generation, deren Bindungsgestörtheit sich wohl noch offener […]