Klassenspezifische Beschränktheit(en)

Klassenspezifische Beschränktheit(en)

„Doch Friedländers Interessen erschöpften sich nicht darin, die römische Kaiserzeit mit philologischer Genauigkeit und differenzierter Schilderung vom Ruf schwüler Dekadenz zu befreien, wie er etwa in den Gemälden Boulangers oder Alma-Tademas heraufbeschworen wurde.“

Nun ja, „schwüle Dekadenz“ vielleicht so nicht, aber doch ziemlich peinlich genau diese als solche beschreibend. So finden wir auch bei Ernest Bornemann (Das Patriarchat, vgl. meinen Blogeintrag: Das Patriarchat in Hellas, bzw. herold-binsack.eu), auf S. 497 folgendes Zitat von Friedländer:

„In der kleinen Welt, die ein großes Haus mit seinen ausgedehnten Besitzungen, seinen Legionen von Sklaven, seinem Anhange von Klienten und Untergebenen bildete, entschied ihr (die Rede ist von der verheiraten Frau in Rom, Einf. H.B. ) Wille über Glück und Unglück, ja über Leben und Tod. Jünglinge und Männer in grauen Haaren, Gelehrte und Tapfere, Verdiente und Hochgeborene sah sie wetteifern sich um ihre Huld bemühen. Welche Ansprüche auf Bewunderung sie auch besaß, mochte es Schönheit, Geist, Talent oder Bildung sein, sie war eines glänzenden Erfolges gewiß. In den Kreisen, in die sie nun eintrat, wurde der Eitelkeit und Gefallsucht die vollste Befriedigung, fand die Intrige den günstigsten Boden, die Leidenschaft die stärksten Anregungen, die Koketterie den unerschöpflichsten Wechsel, und wie hätten schwächere Naturen so vielen Versuchen nicht erlegen sollen!“ (Friedländer, op.cit., S. 257)
Und Bornemann lässt Seneca ergänzen: „Nichts ist sicher, wonach unzählige Wünsche schmachten.“

Die „lichtvolle Ordnung“ findet sich eigentlich erst bei Bornemann, denn wer begreift ein solches Weib nicht als „unzüchtig“, außer der marxistische Sexualwissenschaftler Bornemann eben, soweit die soziale und kulturelle Basis hierfür erkannt wird oder nicht.

Die Sittengeschichte ist nun mal keine Sittengeschichte, sondern Sozialgeschichte, Milieugeschichte. Erst in Folge der Studentenunruhen, jene 68er „Sexual- und Sittenrevolution“, wie man sie auch bezeichnen könnte -, fanden sich wieder genügend praktische Bewegungen, die durch die Hinwendung zum Milieu, hier insbesondere zum proletarischen, eine bürgerliche „Sittengeschichte“ obsolet werden ließen. Selbst eines Friedländers Fleißarbeit blieb diesem Rahmen noch verhaftet. Das bürgerliche Milieu, eben dieses „kultivierte Elternhaus“, kann der Ausgangspunkt nur für sein, und solches Material eben nur „material“ – und stilistisch brillant, wie man Friedländer unbedingt zugestehen muss -, erfassen. Die Sexualität der Frau aber, bzw. die Unterschiede bzgl. der Sozialethik von Klassen, sprengt nicht nur jedwede positivistische Empirie sondern erfordert auch als wissenschaftliche Basis eine revolutionäre Theorie.

Und genau eine solche erkennt, die völlig unterschiedlich zu betrachtende Rolle der Frau im alten Hellas zu der im antiken Rom.
Frau in Hellas war faktisch Sklave, all zu oft gar unterster Sklave, wenn man die Vorlieben der Griechen für Hetären und Knaben im Auge hat. Frau in Rom bedeutete u. U., nämlich für die Patrizierfrau, aber eben auch für so manche Sklavin, den Ausweg aus der Sklaverei, den individuellen. Damit aber trug sie wesentlich bei zur Zersetzung des typisch römischen Patriarchats. Immer wieder sahen sich römische Kaiser zu Reformen veranlasst, die letztlich einer bürgerlichen Sexualethik Vorschub gaben. So zum Beispiel auch die Ehereformen und Kaiser Augustus. Sollten diese wohl das herrschende Recht schützen, das Recht der Sklavenhalter, schufen sie damit aber Bausteine, die später dann als Matrix für das moderne Recht, das bürgerliche Zivilrecht, zu verwenden waren. Darin lag eigentlich auch der Übergang Roms von der Oberstufe der Barbarei zur Zivilisation. Die „schwüle Dekadenz“ Roms war somit schon unterwandert durch ein Sittenniveau das dieser Zeit weit voraus ging, eben weil es nicht um Sitten ging, sondern um soziale Beziehungen, und der Herausbildung von Milieus, und damit auch von modernen Klassen.

Bornemanns Werk entwickelt sich gerade in der Zeit als die Moderne ihrem Ende entgegen ging. Während der 40 Jahre, die er daran arbeitete, vollzog sich ein Richtungswechsel vor allem in den Sexualbeziehungen der Geschlechter, welche dann auch den eigentlichen Inhalt der 68er Studentenbewegung ausmachte. Und so wie die römische Ehefrau das römische Sklavenhalterrecht unterwanderte, so unterwandert die moderne Frau mit ihrer sexuellen Befreiung das bürgerliche Recht, die bürgerliche Ehe, und mit dieser die Keimform jeglicher bürgerlicher, nämlich Klassengesellschaft. Bornemanns deutsche Übersetzung, dann Anfang der 60er, begleitete dann nicht nur die folgende Studentenbewegung, sondern auch, und nun noch viel mehr, eine Reformulierung marxistischer Sexualethik, ohne seine Sozialethik nicht wirklich greift.

Und auch heute muss Frau das bürgerliche Sittenniveau nicht überschreiten, ja kann es gar bestimmend prägen (man schaue sich nur so erfolgreiche Erotikklassiker an, die von Frauen stammen, wie „Das sexuelle Leben der Catherine M“, oder nun jenen aktuellen Bestseller „Feuchtgebiete“), doch obwohl solche bürgerliche Frauen fette Profite machen, indem sie die sexuellen Fantasien des Mannes hier so erfolgreich ausbeuten, und eigentlich recht wenig für die Befreiung der Frau tun, untergraben sie die bürgerliche Moral dort am stärksten, wo diese am schwächsten ist, im Ehebett des Angetrauten nämlich.

Mit der Auseinandersetzung um den Nachweis der Vaterschaft, beginnt der Endkampf im Rahmen des bürgerlichen Rechts, hier des Unterhaltsrechts. Jedes Eingreifen, jede Veränderung, jede Reform, gleich welche, untergräbt die Institution der bürgerlichen Ehe, sei es die Versorgungsehe oder auch die „Liebesheirat“. Noch sieht sich die bürgerliche Frau in der Alternative zwischen „Hetäre“ und Ehefrau verhangen, und doch schon steht sie mit einem Bein außerhalb beider Rollen.

Die proletarische Frau profitiert hiervon zunächst wenig, sowohl in ihren Klassen- wie auch ehelichen Beziehungen, aber die rechtlichen Veränderungen, die diesem Gender-Mainstream folgen, verändern auch ihre soziale Lage, und damit auch ihre klassenspezifische Beschränktheit, lösen sie aus ihrer milieubedingten sexuellen Unterordnung unter den Mann.

faz.net/blogs/antike/archive/2009/12/22/der-vater-aller-roemischen-kulturgeschichten-ludwig-friedlaender-zum-100-todestag

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  • Von Wie der gebogene Stachel eines Skorpions am 3. Januar 2010 um 14:25 Uhr veröffentlicht

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    […] Sozialismus verdrängt wird, desto wahrscheinlicher wird er! @Don Alphonso: Als die Römer mit der „verwilderten Sexualität“ ihrer Bürger, resp. auch ihrer Bürgerinnen, und damit recht eigentlich bzgl. der Erhaltung der […]

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