Wo die Wahrheit zur Zumutung wird

Dass der folgende Blog nicht freigeschaltet wird, hatte ich fast befürchtet. Nun ja, das hier habe ich nachgeschoben.
Nachtrag: Die „Blogredaktion“ der FAZ hat mir zwischenzeitlich per Email geantwortet. Ich verweise daher auch auf den untenstehenden Kommentar, wo ich dies und meine Antwort niedergelegt habe.
Die Auseinandersetzung mit der Blogredaktion hat mich dazu veranlasst, mich noch einmal in den Diskurs um den 17. Juni 53 zu vertiefen. Und folgende – im historischen Vergleich nämlich nicht ganz ernstgemeinte – Frage stelle ich jetzt dennoch (und ergänze damit meinen Vergleich zwischen dem Verhalten der FAZ-Redaktion und dem SED-Regime): Was hat der 17. Juni womöglich mit Pegida und Kermani mit Brecht gemein?

Nicht zum Thema gehörig?
Ich finde es sehr bedauerlich, Frau Schaub, dass Sie meinen Beitrag nicht zum „Thema gehörig“ betrachten. Mir ging es darum, aufzuzeigen, dass es solange keinen wirklichen Diskurs geben kann, wie jede Seite eifersüchtig um die Diskurshoheit bemüht ist. Im Ergebnis gibt es lediglich eine Propagandaschlacht. Mit den entsprechenden Mitteln: es wird zensiert und gehetzt. Und wenn es auf Seiten der Pegida-Demonstranten überhaupt einen so schwerwiegenden wie berechtigten Vorwurf gibt, in Bezug auf das Thema „Lügenpresse“, dann den, dass sie selber sich nicht als gehört sehen. Als abgestempelt oder gar tot geschwiegen.
Mit der Rede Kermanis, die ich kommentiert habe, und die in der FAZ nicht zu kommentieren war, wollte ich aufzeigen, dass die FAZ-Redaktion, mit der Unterdrückung der Kommentarfunktion, selbst dort, wo auch hetzerische Argumente gut auszuhalten gewesen wären, wenn sie denn überhaupt gekommen wären – Kermani wäre dem wohl gewachsen gewesen -, dem Diskurs einen Bärendienst leistet. Und damit indirekt diesen Vorwurf dieser Massen bestätigt. Zumutungen wegblenden, das ist immer die falsche Reaktion.
Mit dem Beispiel Brecht wollte ich belegen, dass es einen richtigen und eine falschen Umgang mit Massenbewegungen geben kann, ganz besonders, wenn diese Massen einem nicht wohlgesonnen sind.

Brecht war nicht nur ein begnadeter Dialektiker, er war auch einer, der wusste, wie man Zäune und Mauern zu überwinden hat. Einen größeren deutsch-deutschen Intellektuellen und Künstler hat die geteilte Republik nicht hervor gebracht. Er war natürlich Kommunist. Doch genau ob dieser Empathie für die kommunistische Sache, wusste er, dass dieses „kommunistische Regime“ falsch reagiert. Und ich denke, er wusste auch, dass das sein Ende einleiten wird. Wer die Massen zu beherrschen sucht, wird sie nicht führen können. Wer Angst davor hat, die Diskurshoheit zu verlieren, somit keinerlei Einsicht in die Selbstkritik hat, kann die Massen weder überzeugen, noch führen, noch beherrschen. Der 17. Juni war ein diesbezüglicher Einschnitt, der schließlich den Untergang dieses Regimes unvermeidlich werden ließ.

Dass ich mit meinem Blog so nebenbei nun versuche, die Mauer der Zensur zu überwinden, sollten Sie mit mehr Gelassenheit sehen. Ich könnte mir vorstellen, dass die FAZ-Redaktion darüber nicht sehr erfreut ist. Doch Sie sind, wie ich das richtig sehe, doch nicht abhängig von der Redaktion, als Bloggerin!? Ich betrachte das nicht nur als legitim, sondern auch der Sache angemessen. Im Interesse der Sache. Auch der Sache, wie Sie sie hier vertreten. Ich bitte Sie daher, sich Ihre Entscheidung noch einmal zu überlegen, und meinen Beitrag, zusammen mit diesem Kommentar, frei zuschalten. In meinem Blog ist es eh freigeschaltet; und damit ist es im Netz.
Mit freundlichen Grüßen

Wo die Wahrheit zur Zumutung wird
Wenn wir schon beim Thema sind, also den sog. „Zumutungen“, fällt mir ein, was ich heute gerne als Kommentar losgeworden wäre. Natürlich erheblich kürzer, denn da wären mir nur 1000 Zeichen vergönnt. Doch die Kommentarfunktion war leider inaktiv, dort, wie so oft in letzter Zeit. Und so schützt die FAZ-Redaktion sich nicht nur vor gewissen „Zumutungen“, sondern vermutlich auch die „Wahrheit“ davor, von den falschen Leuten vertreten zu werden.
Hier der Beitrag, der auch sehr gut hierher passt:

Die Redaktion der FAZ, noch weniger mutig, als einst die Bonzen der SED, am 17. Juni
Eine Anmerkung zu Kermanis Rede in Köln und zu einer FAZ’s Feigheit

„„Kermani spricht „gegen die Hassprediger in den Moscheen und die Hassprediger in den Talkshows“, wie auch davon, dass der Kampf gegen Unfreiheit und Gewalt nicht nur in Kobane und Aleppo, am 11.September 2001 in New York oder am 7.Januar 2015 in Paris stattfinde, er sieht die Anschläge von Paris „nicht zuletzt“ als Folge des Irak-Kriegs, „der dem Terrornetzwerk Al Qaida in unmittelbarer Nachbarschaft Europas ein Aufmarschgebiet bescherte, auf das Usama Bin Ladin in seinen kühnsten Träumen nicht gehofft hätte“, wie „unseres Versagens in Syrien“, wo „wir tatenlos oder vielleicht sogar aus perfidem Kalkül zusahen, wie unsere eigenen, engsten Verbündeten, Saudi-Arabien und andere Golf-Staaten, die Dschihadisten finanzierten und hochrüsteten, auch den sogenannten ,Islamischen Staat‘, auf den sich die Attentäter beriefen““. – Soweit die FAZ

„Aus perfidem Kalkül“. Gut erkannt, Herr Kermani! Sie sind ein echter Gewinn, wenn auch ganz sicher ein unverdienter, für Deutschland. Das war schon früh zu erkennen. Und ich frage mich, warum die FAZ-Redaktion zu diesem Beitrag die Kommentarfunktion geschlossen hält. Vor wem hat sie da in Wirklichkeit Angst? Dass dazu Hassreden kommen würden? Das wäre doch auszuhalten. Zumal Herr Kermani sich hier doch mutig dazwischen schiebt. Eine solche Rede wäre die Chance gewesen, die verfeindeten Diskurse auf einander zugehen zu lassen. In etwa so, wie es einst Bert Brecht versucht hatte (natürlich unter völlig anderen historischen und sozialen Kontexten), im Angesicht der Faustschläge, die da die Arbeiter „Ihrer Partei“ am 17. Juni 53 verpassten: „das war der kontakt. Er kam nicht in der form der umarmung, sondern in der form des faustschlags, aber er war doch der kontakt. – die partei hatte zu erschrecken, aber sie brauchte nicht zu verzweifeln.“ (Bertolt Brecht, Arbeitsjournal, 2. Bad. 1942 1955, Büchergilde 1974, S. 1009, Kleinschreibung im Original; vgl. hierzu auch diese wirklich gute Analyse von Wolfgang Fritz Haug „Brecht auf der Tagesordnung“, Brechts Zumutungen an
eine mögliche kommunistische Neugründung
; Fritz Haug erwähnt hier auch die FAZ, die diese Brechtsche Intervention in einem Artikel ebenfalls sinngemäß als „Zumutung“ empfunden habe, jedenfalls für sich).

Und während der Marxist Brecht hier ein Vorbild gibt, wie man auf die Massen zugeht, auch und gerade, wenn sie einem nicht wohlgesonnen sind, teilt die FAZ-Redaktion ihren fehlenden Mut und ihre Angst vor der Zumutung (dieser Begegnung) mit den Bonzen der SED. Ob sie sich dessen bewusst ist?“

blogs.faz.net/10vor8/2015/01/16/der-mut-zur-wahrheit-ist-der-neue-ernst-des-lebens

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Ein Kommentar

  1. Am 21. Januar 2015 um 12:20 Uhr veröffentlicht | Permalink

    Sehr geehrte Redaktion,
    ich weiß nicht, inwieweit das hier noch Sinn macht. Ich glaube nämlich nicht, dass Sie ein Einsehen haben, in Bezug auf meine Argumente. Aber dennoch: es musste mal gesagt sein. Dass Sie den Beitrag u.a. deswegen nicht freischalten, da Sie den „Umgang der FAZ mit Kommentaren“ nicht unterlaufen wollen, macht deutlich, wie wenig unabhängig Sie in Wirklichkeit sind. Denn, was Sie offenbar gering schätzen, sind die Gründe für dieses Unterlaufen. Mit Ihrem letzten Punkt, zeigen Sie, dass sie diese Gründe erkennen, aber nicht ihre Bedeutung erfassen.

    Der Umgang der FAZ mit ihren Kommentaren ist Teil des Problems und keine zu vernachlässigende Kleinigkeit. Und ganz besonders, dass in diesem Fall der Kommentar nicht zugelassen wurde, regte mich nicht nur zu einem Kommentar an, den ich gerne in der FAZ veröffentlicht sähe, sondern zu der entsprechenden Fragestellung: wovor hat die Redaktion denn eigentlich Angst? In diesem Fall nämlich passt das nicht zu den üblichen Verdachtsmomenten. Man kann darüber diskutieren, warum die FAZ die Diskussion um Antisemitismus und jetzt um die Russlandkrise nicht zulassen möchte, (obwohl ich das dennoch kritisiere). Doch Kermani? Kermani ist nicht der Bundespräsident! Obwohl auch der interpretiert und auch kritisiert werden dürfte. Ja sogar verteidigt!

    Aus meiner Sicht wird hier Kermani von der FAZ lediglich benutzt, als (gestern noch) umstrittener Prominenter vorgeschoben. Aber auf sein kritisches Potential (was ja auch mit seinem „Umstritten-sein“ zu tun haben könnte, und ganz sicherlich gegenüber Missbrauch sensibel wäre) möchte man gerne verzichten. Und das auf den Punkt gebracht, bedeutet: die FAZ ist nicht Objekt oder Gegner, sondern Mitakteur dieser unseligen Propagandaschlacht. Teil der Manipulation, die da gerade über die Massen einhergeht. Und ihr daher auch den 17. Juni-Brecht-SED-Vergleich als Spiegel vorzuhalten, das wäre mir wichtig gewesen. Umso mehr als Brecht, und darin Kermani nicht unähnlich, nicht so einfach zu interpretieren ist. Beide zeigen sich vor allem und nach allen Seiten als unabhängige Köpfe. Doch Ihre Reaktion hat meinen diesbezüglichen Vergleich auf geradezu gespenstische Weise mehr als bestätigt.
    Und wenn ich damit recht haben sollte, wäre es nicht mehr 5 Minuten vor 12, sondern weit über 12 hinaus. Die Verantwortung dafür, ob Sie das erkennen oder nicht, nimmt Ihnen niemand ab. Nicht ich, nicht die FAZ-Redaktion, ja schon gar nicht eine Pegida, gegen die so berechtigt wie mit zum Teil vordergründigen Methoden vorgegangen wird. Ich bin gespannt, wie die Bourgeoisie, das heißt: die Klasse und ihre politischen wie medialen Akteure diesen „Faustschlag“ verkraften.
    Mit freundlichen Grüßen
    P.S. Ich erlaube mir übrigens dieses Gespräch als Kommentar meinem Blogeintrag hinzuzufügen

    Von: IchHeute 10vor8 [mailto:IchHeute10vor8@gmx.de]
    Gesendet: Montag, 19. Januar 2015 14:38
    An: h.binsack@freenet.de
    Betreff: Blogbeitrag

    Sehr geehrter Herr Binsack,
    nicht Frau Schaub, sondern wir als Blogredaktion haben den Beitrag nicht freigeschaltet, weil er sich nur sehr indirekt auf deren Beitrag bezog. Auch Ihr Blogbeitrag nutzt eigentlich nur Überschrift und Teaser, der Link findet sich völlig ohne Kontext am Ende des Textes.

    Ihren jetzigen Beitrag werde ich in der Form auch nicht freischalten; denn ja, wir sind unabhängig von der FAZ und ja, wir trauen uns durchaus, kritisch zu sein. Aber wir wollen uns auch umgekehrt nicht instrumentalisieren lassen, um den Umgang der FAZ mit Kommentaren zu unterlaufen. D.h. Sie können de facto natürlich den hier größeren Spielraum nutzen, aber bitte nicht nur unter dem Etikett „hier gebe ich es der FAZ dann mal“, sondern im Sinne einer sachlichen Diskussion.

    Und: Wir diskutieren unsere Redaktionsentscheidungen nicht öffentlich, nie ;-)!

    Diesen Punkt: „Und wenn es auf Seiten der Pegida-Demonstranten überhaupt einen so schwerwiegenden wie berechtigten Vorwurf gibt, in Bezug auf das Thema „Lügenpresse“, dann den, dass sie selber sich nicht als gehört sehen“ finde ich übrigens durchaus richtig udn wichtig – und viele von uns sehen das durchaus ähnlich.

    Die Blogredaktion

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