Eine Frage an Goethe vielleicht

Eine Frage an Goethe vielleicht
Eine Frage bleibt unbeantwortet: Womit hat sich Goethe hierbei wirklich beschäftigt? Mit der Dichtung „eines“ Homers, oder mit der Dichtung um „einen“ Homer.

Homer als das Medium jener Zeit
@Mersch: Danke. Klingt sehr überzeugend. Ich selber wage diesbezüglich keine eigene Meinung, da ich mich hierzu nicht berufen fühle. Doch möchte ich auf einen anderen „Meister“ verweisen, der sich gerade am Beispiel der Ilias wie folgt geäußert hat:

Sogar die Dichtung als solche ist nicht Menschenwerk in unserem Sinn. Ihre ersten drei Worte lauten: Menin aeide, thea, »Singe, o Göttin, vom Zorn!« Und das gesamte nachfolgende Epos ist nichts anderes als eben dieser Gesang der Göttin, von einem verzückten Poeten »vernommen« und als Re- Zitation in den Ruinen von Agamemnons Welt an seine eisenzeitliche Hörerschaft weitergegeben.“

Ich zitiere hier aus Julian Jaynes‘ „Der Ursprung des Bewusstseins“, und zwar aus dem 3. Kapital, „Die Psychologie der Ilias“ (S. 105-106, PDF-Datei, s. a. julianjaynes.org/). Ich verwies schon des Öfteren auf ihn. Seine These, dass das Bewusstsein des Menschen nicht älter als etwa 3000 Jahre alt ist, könnte auch eine völlig neue Interpretation bzgl. der Autorenschaft vorgeschichtlicher, resp. antiker Werke begründen.

Frei übertragen wäre das „Gottesgeflüster“ der damaligen Zeit gleichzusetzen mit den Wahnvorstellungen heutiger Schizophrener. Allerdings mit der Einschränkung, dass zu dieser Zeit jene „Wahnvorstellungen“ der Normalzustand gewesen wären.

Im Übrigen hat Jaynes auch festgestellt, dass die Ilias in späteren Überarbeitungen Elemente hinzu gefügt bekam, die schon auf die Anfänge eines Bewusstseins hindeuten. Am Beispiel der Reisen des Odysseus verweist er explizit darauf. Daraus ließe sich schlussfolgern, dass sehr wohl eines Homers Werk ein kollektives Werk ist. Eines Kollektivs, das dennoch nicht wirklich in derselben Muse vereint gewesen wäre, sondern geradezu getrennt, nämlich durch die zum Teil sehr verschiedenen Geister/Dämonen gleich zweier Epochen.

Und gerade das macht die Ilias so wertvoll. Legt sie doch Zeugnis davon ab, wie gleich ein ganzes menschliches Kollektiv zur Kunst befähigt (gewesen) sein muss. Nämlich zum Teil vor der Zeit, wo einzelne Autoren jener ihre Handschrift auflegten.

Homer gewissermaßen nicht mehr als das Medium jener Zeit, mitten in der Zeitenwende.

faz.net/blogs/antike/archive/2012/05/28/goethes-homerische-schweigespirale

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2 Trackbacks

  • Von Wider den Spießer in uns am 6. Juni 2012 um 18:58 Uhr veröffentlicht

    […] wir nämlich diese Illusion nicht hatten, ich verweise hier auf die Studien von Julian Jaynes (Der Ursprung des Bewusstseins), war ein Bewusstsein, bzw. ein „Selbstbewusstsein“, weder möglich noch notwendig. Die […]

  • Von Wenn dem Subjekt die letzte Stunde schlägt am 7. Januar 2013 um 02:53 Uhr veröffentlicht

    […] Ahnen sie gar, dass die Massen beginnen zu begreifen? Nicht dass den Massen dies ausbleibende „Gottesgeflüster“ nicht fehlen würde; im FAZ-Wirtschaftsblog wird das „Schweigen der Ökonomen“ schon angemahnt. […]

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